"Der Glocken Gust"- oder der "Schuamicheles  Gust".

Qu. O. Schmid, R. Schmid, J. Hillenbrand, Hermann Stegmaier, Heimatbildband "Wir" - herausgegeben 1982 v. Walter Weller, u.a.
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August Ilg - der Glocken Gust.

 

"Die gröschte und schwerschte Glocke steht im Kremel, in Moskau. Sie ischt 6 1/2 mtr. hoch und 200 Tonnen schwer, und in nn .. gestimmt. -- Sie kann nicht geläutet werden, da sie für einen Glockenturm zu schwer ischt."
So, oder ähnlich, klang es, wenn August Ilg bei seinen Besuchsrunden im Dorf, oder bei entsprechenden Fragen, seine Kenntnisse zum Besten gab.

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Kindheit

August Ilg ist 1906 in Heuchlingen, im Haus "Schuamichele" geboren und aufgewachsen. Er hatte noch 1 ältere Schwester und 4 jüngere Brüder. August war 5 Jahre alt, als 1911 der Vater starb. Seine Mutter heiratetet in 2. Ehe den Josef Faul. Daraus gingen weitere 7 Geschwister hervor.
Nun war die Zahl der Esser natürlich groß. So wurden die Kinder schon in jungen Jahren an Bauern oder Haushalte zu kleineren Arbeiten und Dienstleistungen weg gegeben. Das war damals ganz allgemein der Brauch. Die Lasten in den Fam. wurden so etwas abgemildert und auf verschiedene Schultern verteilt. So geschah es dann auch mit August.


Seine erste Arbeitsstelle
war die eines Hütebuben und Kleinknechts, gleich nebenan bei seinem Nachbarn, dem Lauchbauer. "August du Kerl du", waren die geflügelten Worte des Altbauern, wenn Gust nicht so richtig spurte oder beim Vespern einen besonderen Fleiß an den Tag legte. Weitere Arbeitsstellen folgten.

Bereits in dieser frühen Zeit zeichnete sich bei Gust ein großer Heißhunger ab, August wurde nie satt. Nicht selten mußte der Bauer mit seinem Löffel einen leichten Schlag auf August`s Löffel oder Finger geben, wenn dieser allzu eilfertig in die gemeinsame Schüssel Zugriff nahm.
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Jugendjahre
August wurde älter, somit allmählich Jungknecht und schließlich Bauernknecht auf verschiedenen Anwesen in der Umgebung wie:

< Zeirenhof in Schechingen < Wiedmannhof in Hermannsfeld < Weihbauer in Leinweiler < Lusthof b. Reichenbach, < Frei auf dem Mäderhof und andere mehr.
Auf all diesen Anwesen zeichnete sich August nicht so sehr durch sein Mittun und seinen Arbeitseifer aus, vielmehr auch hier durch seinen nicht zu stillenden Hunger. Doch davon an anderer Stelle.

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Sein Wandertrieb.

August Ilg hielt nicht allzuviel von seinen Bauern. Sie waren für ihn wohl in erster Linie Ausbeuter. Als ein gegenseitiges Geben und Nehmen sah er seine Arbeit bei Denselben nicht. So nahm sich Gust häufige Auszeiten. Meist dann, wenn die Arbeitsspitzen der Ernten herankamen, ging Gust auf Reisen.

Am Anfang zu Fuß in nähere und entfernte Orte in ganz Deutschland.
Sehr früh schon lernte er Städte wie München, Köln, Erfurt, Berlin u.a. kennen. Ebenso bekannte Klöster, Wallfahrtsorte, Kathedralen und Kirchen. So besuchte er viele male die Wieskirche, Vierzehnheiligen, Altöting, um nur einige zu nennen.

Später dehnten sich diese Reisen dann auf ganz Europa aus. Immer aber mußten es außergewöhnliche und berühmte Orte sein. Trotzdem liegen seine Mannjahre in den 20er - u. 30er Jahren weitgehend im Dunkeln. Aus seinen Erzählungen weiß man aber, daß er wohl schon in dieser Zeit die meisten Hauptstädte und Sehenswürdigkeiten in ganz Europa bereist hat. So seien genannt: Moskau, Petersburg, mehrere male Rom, Jerusalem, Lourdes, Fatitima, Paris, Palermo, das Heilige Land, Griechenland und die Türkei. Ebenso Ägypten mit den Pyramiden. -----

Siehe hierzu auch den Nachruf zu seinem Tod. Hierin finden sich Ausschnittte aus seinen Erzählungen, welche er 1982 im oben erwähnten Bildband "Wir" von Karl Weller wiedergegeben hat.
Bei diesen Reisen zeichneten sich auch schon seine besonderen Interessen und Vorlieben ab, aber auch ein außergewöhnliches Gedächtnis- besonders für das Merken von Daten und Fakten.
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Interessenschwerpunkte bilden sich aus

Kirchenmusik
August Ilg besuchte schon früh berühmte Orgel - und Chorkonzerte. So war er wohl über 30 mal in Ottobeuren. Ottobeuren war damals berühmt und international bekannt für seine Kirchenmusik. Große Konzertwerke und Meister kamen hier zur Aufführung.

So besaß August schließlich zahlreiche Langspielplatten mit bekannten Chormessen und Orgelwerken. Insbesonders Werke von "Bruckner" hatten es ihm angetan. An manchen schönen Sommer - Sonntagmorgen schallten Messgesänge aus seiner Kammer.
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Kirchenbauwerke
Hinzu kam jetzt eine große Leidenschaft für Kirchenbauwerke und Baustile. Geradezu euphorisch sprach er über die Wieskirche, die er viele male besuchte. Vielen Heuchlinger Bürgern klingt es noch in den Ohren: " Die Wieskirche ischt die schönschte und gröschte Dorfkirche der Welt. Ihre Freschken wurden geschaffen von..... , der Altar ischt von ...." u.s.w.
Ähnlich berichtete er von der Peterskirche in Rom, dem Kölner - oder Erfurter Dom und anderen Kirchenbauten.
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Glocken
Bald gesellte sich noch ein weiteres Interesse hinzu. Das Interesse für die Glocken berühmter Kirchenbauten. Gust hat wohl keine dieser Dome und Kathedralen besucht, von denen er die Glockendaten, wie Gewicht, das Gießjahr, oder die Stimmung, nicht kannte.

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Krieg und Lazarett

August Ilg mußte trotz seines fortgeschrittenen Alters in den Krieg. In Rußland verlor er dabei ein Bein. Längere Zeit verbrachte er daraufhin in verschiedenen Lazaretten. Durch Zufall traf er dabei auch auf einen Heuchlinger, auf Hermann Stegmaier. Beide lagen lange Wochen in Gmünd und in Göppingen. Allein im letzteren waren 12000 verwundete Soldaten untergebracht.

August der Erzähler im Lazarett

Hermann weiß zu berichten:

Gust war in den Verwundetensäälen allzugut bekannt. Endlos erzählte er von seinen Reisen und Erlebnissen, von Kirchen und von Glocken.

August: " Die Wieskirche ist die schönschte und gröschte ....", oder, " In Moskau steht die gröschste und schwerschte Glocke der Welt und kann nicht geläutet werden. ...... "
Kameraden: "August halt den Mund, wir wollen schlafen" - Ruhe kehrte ein.
Nach einer Weile, einige der kranken Insassen konnten wohl doch nicht schlafen: " August laß die Glocken läuten" - und das Ganze ging wieder von vorne los.

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August der Zyniker

August war bereits bei seinen Lazarettaufenthalten als großer Spötter bekannt. So betitelte er Ärzte und Pflegepersonal, aber auch Mitinsassen, gern mit bekannten Ruf und Spottnamen aus seiner Heuchlinger Heimat. So sprach z.B. von der "Mädlesbäure", der "Karleskätter", oder vom alten "Donnesfranz" oder "Basille", wenn er auf Personen Bezug nahm. Diese Namen machten alsbald die Runde. Jeder im Saal wußte, wer gemeint war, wenn er z.B. gefragt wurde, welcher Arzt denn bei der Visite dabei war, oder wer was angeordnet hatte. Ärzte und Schwestern hielten Gust deshalb für nicht ganz richtig im Kopf

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.Zum Bild:
August auf dem Weg ins Dorf.
Im Hintergund : Architekt Weimer. (in 1974)

 

 

 

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Nachkriegsjahre
Nach dem Bau der "Kleiderfabrik Holstein, konnte August als Kriegsversehrter dort Arbeit finden. Im Zuschneidesaal machte er Aufräumarbeiten - und Kehrdienste. Auch hier benannte er Personen, die ihm nicht so genehm waren, mit seinen bekannten Pseudo - Namen.
Der Verdienst beim Holstein wird nicht allzu üppig gewesen sein. Gust lebte jedoch sehr sparsam und unterhielt sich auch auf "der Weide", wenn er z.B. die verschiedenen Häuser aufsuchte, seine Geschichten zum Besten gab und dafür reichlich Most und wohl auch etwas Vesper für ihn absprang.
Zu Hause wurde er von seinen Halbschwestern mitversorgt.
Als starker Raucher drehte August seine Zigaretten selbt. Die Kippen zerbröselte er in seine Kitteltasche, oder in den Tabaksbeutel. Aus dessen Resten wurden dann wieder "Neue". Auf diese Weise füllte sich dann auch allmählich wieder die Reisekasse von August Ilg.

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Reisen in der Nachkriegszeit.

Bald schon trieb es Gust wieder in die Ferne. Dabei reiste er in der Regel per Anhalter. In den Anfangsjahren schnallte er dazu die Beinprothese ab und hob als Winkzeichen seine Krücken in die Höhe. Meist hatte er dabei Erfolg und wurde mitgenommen.
Wenn immer es möglich war, suchte er für seine Übernachtungen Pfarrhäuser und Klöster auf.
Reiseziele waren Anfangs wieder die ihm bekannten Metropolen und Städte, Klöster und Kirchen.

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Doch Gust wollte mehr.

Weltreisen.
Über die Reisen von August Ilg sind keine Aufschriebe vorhanden. Nur aus seinen Erzählungen kann ein kurzes Bild nachgezeichnet werden. Auch die Reihenfolge derselben ist nicht mehr bekannt.
Hier deshalb auch nur eine kurze Auflistung dieser Reisen, wobei die einzelnen Stationen nicht nachvollzogen werden können.

  • Europareisen im rollenden Hotel
  • Schiffsreise durch den Sueskanal - Singapur - Tokio - Melbourne - Wellington u.a.
  • Schiffsreise rund um den Globus mit entspr. Landgängen in New York, San Francisco u.a.
  • Flugreise rund um den Erdball mit Haltepunkten in den Metropolen der Welt.

Auch auf diesen Reisen lebte Gust z.T.. von wohlgesonnenen und wohlhabenden Mitreisenden. Wenn er irgendwann mit seinen Erzählungen dann doch lästig wurde, verfrachteten ihn freundliche Steward`s an einen hinteren Tisch. Für Trank wurde gesorgt. Nicht selten lag er zum Schluß dann betrunken unter dem Tisch. So seine eigenen Schilderungen.
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Eitelkeiten
August kaufte seine Hemden immer im Groß. Also immer gleich 12 Hemden, diese ohne Kragen. Dafür benutzte er weiße, steife Krägen.
Die Anzüge ließ er bei einem Schneider in Mögglingen schneidern. Es waren dies immer Stücke aus feinem und dunklen englischen Tuch mit Nadelstreifenmuster.

An Feiertagen, oder nach großen Reisen, stolzierte Gust noch eine Weile im feinen Anzug durchs Dorf - eine Zigarette zwischen den Fingern, dabei den Ringfinger mit dem großen Kardinalsring - eine Nachahmung aus einem Basar in Palästina, graziös gespreizt. Die Haare waren dick mit Pomade geglättet und der ganze Mann, so schien es, war in Parfüm getränkt.


Pomade
An normalen Arbeitstagen glättete Gust seine Haare nicht selten mit Schmierseife. Bei stärkerem Regen lief ihm dann auf dem Heimweg der Seifenschaum nur so über das Gesicht.

Liebhabereien

Neben seiner Plattensammlung hatte Gust auch eine große Vorliebe für Herrenschmuck, insbesondere für Ringe. Daneben erwarb er sich noch seltene Münzen und andere Reiseandenken. Stücke davon hat er einer jungen Dame geschenkt u. vermacht, die er wohl heimlich verehrte. Die Beschenkte L. R. gb. B. erinnert sich noch gut daran.

 

Freundschaften
Nähere Bekanntschaften, oder gar Freundschaften hatte August Ilg nicht. Den einzig engeren Kontakt pflegte er zu Gregor auf dem Schloßberg. Diesen besuchte er jede Woche ein oder zwei mal. Mit großer Lust redeten / lästerten beide dann über andere Personen. Gleichzeitig sprach Gust auch über den Gregor. So z.B.: "beim Gregor würden die Mäuse am Tisch mitfressen". Darauf angesprochen, meinte Gregor lapidar: "D´ Mäus wellet au leba". Tatsächlich waren die Ohren von Gregor von den Mäusen angenagt, als man ihn nach seinem Tod in seiner Behausung auffand.

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Episoden

Seine Vortragsreisen im Ort.

Wie Eingangs schon erwähnt, suchte August in seiner reisefreien Zeit gerne ihm wohlgesonnene Zuhörer und Häuser auf. Natürlich unangemeldet. War der Zeitpunkt gerade nicht passend, setzte man den Gust auf eine Bank vor dem Haus und stellte ihm einen Krug Most hin, nicht selten auch einen ganzen Eimer. Allerdings war der Most dann nicht immer der neueste und auch nicht von der besten Sorte.

Fand er Eingang in den Stuben, war es immer schwierig, den Gust wieder loszuwerden.

Seine Erzählungen dauerten oft bis weit in die Nachtstunden hinein. Nicht nur wir Kinder lauschten oft ungläubig seinen Geschichten.


Einmal saß er
vor der Mühle auf einem Hackblock und sah Otto beim Holzhacken zu. Der Frage, ob er was zu trinken haben möchte, stimmte er natürlich zu. Nach den ersten Schlücken meinte er dann: "Hm, der Most spricht mich an" - er schmeckte ihm also. Auch den zweiten "2 lt - Krug" meisterte er gut, dabei unablässig über seine Erlebnisse berichtend.

Auf die Frage nach dem weiteren Durst meinte er dann: "A Bodadeckele voll.". Otto machte den Krug nochmal halb voll. Gust schaffte auch diese Portion. Danach aber verstummte er und sank in Schlaf. Da ein Gewitter aufzog, setzte man den August auf einen Stuhl in den nahen Schuppen.

Selbstgespräche
Auf den Wegen zu seinen erfreuten, oder auch nicht so erfreuten Zuhörern, hielt Gust immer lange Selbstgespräche. Unablässig sprach er von Daten, Geschichten und Erlebnissen. Auf diese Weise konnte er wohl sein Wissen in seinem Gedächtnis wachhalten.
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Knecht Episoden
In Hermannsfeld war Gust einmal mit dem Jungbauern zum Futterholen. Beim Abspannen, nach dem Halt im Hof, rief die Altbäurin aus dem Fenster: "Berthold, heb doch au da Kneecht vom Waga ra " - als dieser keine entspr. Anstalten machte.

Heißhunger
Gust war nie satt zu bekommen. Bei dem Bauern, welcher Gust einmal beim Mittagessen aus dem gemeinsamen Topf, auf die Finger klopfte, aß er des öfteren die besseren Essensreste, die dem Hofhund vorgesetzt waren, aus dessen Fresskachel. So kam es, daß der Hund immer wild knurrte, wenn Gust in seine Nähe kam.

Auf einem anderen Anwesen, war es auf dem Lusthof ?, aß Gust einmal 21 Pfannkuchen schon vor dem Beginn der Mahlzeit. Als die Bäuerin dann jammerte: "Was soll i jetzt meine Leit no stella ?", meinte Gust: " Bäure du hättesch halt bäld`r afanga solla"

Sein Bauer auf dem Zeirenhof versprach Gust bei einer Hausschlachtung: "Guscht, heit kaascht soviel essa, soviel wia en de neibaßt. "August nutzte das Angebot. Er aß soviel, daß man ihn ins Krankenhaus nach Abtsgmünd bringen mußte. Dort wurde ihm der Magen ausgepumpt.

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Nachdenkliches

Die Weihbäurin schickte Gust - er war noch jung, nach Heuchlingen zur Sonntagsmesse. Gust legte sich am Weilerrain in die Sonne und kehrte später dann zurück. Er habe sich geschämt, in seinen schäbigen Sonntagsklamotten - So ein späteres Geständnis von ihm.

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Sprüche:

"August du Kerl du.
"August laß die Glocken läuten.
"August, net so viel, soscht schmeiß i di naus.
"Hau ab, du bisch doch bloß a Hund gega mi"- Hintergrund: auf dem Heimweg von seinen Hausbesuchen kam Gust des öfteren zu Fall. Meist schnappte im die Prothese aus dem Gelenk. So blieb er einfach an Ort und Stelle, oder im im Gebüsch, liegen und sang Kirchenarien. Einmal bellte ihn dabei ein Hund an. "Hau ab, du bisch doch bloß a Hund gega mi." rief Gust und sang weiter.
"Berthold, heb doch au da Kneecht vom Waga ra "
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Interview
Nach einer großen Weltreise, es war in den 1960er - Jahren, wurde August einmal vom Rundfunk intervievt. Der Rundfunk wollte damals seinen Hörern ungewöhnliche Personen vorstellen. Das Interviev fand in der unteren Adler - Gaststube statt.

Auf die Frage an August, er sei doch sicher eine angesehene Person in seinem Heimatort, meinte dieser: "Diese südwestdeutsche Hornochsen, die verstehen das doch gar nicht, die haben doch keinen Sinn dafür - Ho, Ho, Ho. ...... . Mikrofon ab!
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Die letzten Jahre.
August Ilg lebte in seinen letztenn Jahre im Senioren - und Pflegeheim in Abtsgmünd. Dort starb er am 03.07.1983. In seinem Heimatort Heuchlingen liegt er begraben.

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