Der Raymund

Im Haus Nr. 45 - dem späteren Gesamtanwesen von Michael Munz - ist am 31.8.1879 der - früher allseits bekannte - von den Weibsleuten auch etwas gefürchtete - Raymund Schierle geboren. Er bewohnte zusammen mit seiner Mutter Veronika Schierle das EG im Haus 45/46. "Die Wohnung liegt ebenerden und besteht aus 1 Stuben und Stubenkammer, 1 Kuchel und 1/3 vom gemeinsamen Keller - und befindet sich im Eigentum der Veronika Schierle. Der Zugang z. Keller für die Bewohner des OG. erfolgt über die genannte Kuchel.

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Raymund verlor wohl nach dem Tod seiner Mutter am 21. März 1920 in Schwäb. Gmünd, und nach Klärung der Bezitzrechte, sein Wohnrecht im Haus 45- wobei hierüber bisher keine näheren Umstände vorliegen. Raymund lebte nun praktisch auf der Straße. Oft besuchte er danach wohlgesinnte und bekannte Häuser im Ort und Häuser im Dorfumkreis, bat um Vesper und einen Trunk - und oft auch um ein Nachtquartier. Des Übrigen lebte er von Unbterstützung aus der Armenfürsorge der Gemeinde. Das eine oder andere mal verdiente er sich auch durch Taglohnarbeiten, wie das Hacken von Brennholz bei der Schule, noch ein paar Mark hinzu.
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Bruno Schierle, Jg. 1926,
erinnert sich noch gut an solche Besuche von Raymund in seinem Elternhaus an der Schechinger Straße. Die Mutter reichte Raymund dann immer ein Vesper und einen Krug Most und der Vater wies ihm dann eine Lagerstätte im Stall zu - mit der eindringlichen Ermahnung, ja nicht zu rauchen.

Bruno beschreibt Raymund als eine große und besetzte (dickere) Person- und doch traurige Gestalt, immer mit einem schwarzen Mantel gekleidet - ein harmloser und armer Teufel, wie er meinte. Auch in seinem Geburtshaus tauchte Raymund regelmäßig auf, trank einen Krug Most, vesperte und verschwand wieder - Otto Bauer, Jg. 1926, erinnert sich ebenfalls noch lebhaft an solche Besuche.

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Episode
Wenn Raymund bei seinen Besuchen in Heuchlingen keinen Unterschlupf fand, ging er – meist schwankend- einfach auf den Schloßberg zum Dorfbüttel Xaver Bihlmaier und verlangte seine Arrestierung - die ihm ja als Landstreicher sozusagen zustand. Xaver sperrte ihn dann pflichtgemäß in die Arrestzelle im Rathaus. Dort schlief Raymund dann seinen Mostrausch aus und Xaver konnte seine unterbrochene Nachtruhe wieder fortsetzen.

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Gesundheitliche Probleme.

Das Leben auf der Straße war für Raymund ganz sicher nicht förderlich für seine Gesundheit.
1935 musste er - 56 jährig Raimund in die Pflegeanstalt Rabenhof bei Ellwangen eingeliefert werden. Darüber existiert in den Gemeinderechnungen v. 1935 ein Kostenzettel im Rathaus
zur Beförderung des Landarmen Raimund Schierle durch den Polizeidiener Xaver Bihlmaier vom Bahnhof Aalen aus auf den Rabenhof bei Ellwangen". Den Weg zum Bahnhof nach Aalen legten die Beiden zu Fuß zurück.
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Danach.
Raimund Schürle vermacht seinen Körper nach seinem Tode angeblich der Anatomie Tübingen. Eine Sensation damals im Dorf.

Nur, die Wirklichkeit ist sehr wahrscheinlich die: "Landarme" also Wohnsitzlose - im beginnenden NS- Jargon auch als *asoziale Elemente betitelt, wurden nach ihrem Ableben ohne großen Aufwand in solche Anatomie- Institute - wie eben Tübingen überwiesen, zumal wenn keine Angehörigen mehr bekannt waren- auch zahlte die Anatomie dafür noch Geld.

Interne angemerkt: Diese sogenannten *asozialen Elemente wurde nicht selten aufgegriffen- auch arbeitsverweigernde Personen mit einem Wohnsitz- und in KZ oder Arbeitslager eingewiesen.

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Familiäre Zusammenhänge

1849 erwirbt Johannes Schierle, Weber u. Musiker, von seinem Onkel Josef Schierle das EG im Haus 45/46. Nach dem Tod v. Johannes Schierle geht 1868 dessen EG- Wohnteil an seine Kinder über. Dabei übernimmt die Tochter *Veronika nach dem Tod der Mutter das Teilanwesen. Veronika Schierle hatte 3 Kinder, Eugen, * 1863, oo n. Leinzell; Rosina, * 1871, oo den Gmünder Stadt-Taglöhner Michael Horlacher und Raymund geb. a. 31.8. 1879
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Das Leben des Raymund Schierle verlief, wie die wenigen vorhandenen Zeugnisse über ihn deuten, wohl nicht immer gerade. In den vorkommenden Erwähnungen wir er als taub beschrieben, der den Beruf Dreher, aber auch Drechsler erlernt hatte. Ob der Raymund von Geburt an taub war, ist nicht überliefert. Die angehängte ergänzende Seiten zeigen weitere Einzelheiten über Raymund Schierle, wie auch über die seiner Mutter.

Ergänzendes zu Raymund - und Veronika Schierle in den Gemeinde-Rechnungen.

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